Bild mit Eule auf einem Buch sitzendKathrin Fuchs
@kathrinfuchs

Das Merkzeichen aG bei Schwerbehinderung: Voraussetzungen, Rechtsprechung und Vorteile

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Das Merkzeichen aG bei Schwerbehinderung: Voraussetzungen, Rechtsprechung und Vorteile 2

I. EINLEITUNG
Menschen mit besonders schweren Gehbehinderungen sehen sich im Alltag vielen Herausforderungen gegenüber. Um diesen Personenkreis zu entlasten, hält das deutsche Schwerbehindertenrecht verschiedene Nachteilsausgleiche bereit. Dazu gehört das Merkzeichen aG („außergewöhnliche Gehbehinderung“), das zahlreiche Vorteile des Merkzeichens aG bietet, wie Parkerleichterungen und erleichterten Zugang zu Verkehrsmitteln. Häufig stellt sich jedoch die Frage, wann anstelle von aG das Merkzeichen G („erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr“) in Betracht kommt. Das Merkzeichen aG ist für viele Betroffene von entscheidender Bedeutung und sollte daher umfassend behandelt werden.

Im vorliegenden Beitrag erhalten Sie einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Grundlagen zum Merkzeichen aG, die wichtigsten Voraussetzungen, relevante Gerichtsentscheidungen sowie praktische Hinweise zur Beantragung. Darüber hinaus zeigen wir, wie sich das Merkzeichen aG vom Merkzeichen G abgrenzt und welche Vorteile des Merkzeichens aG Betroffene erlangen können. Das Merkzeichen aG hat erhebliches Gewicht, insbesondere wenn es um die Beantragung von Nachteilsausgleichen geht. Als besonderes Element integrieren wir im Abschnitt zu den Vorteilen einen Exkurs zum Thema „Blauer Parkausweis“, da dieses Dokument gerade in Verbindung mit aG eine große Rolle spielt.

II. GRUNDLAGEN UND GESETZLICHE VERANKERUNG

  1. Sozialgesetzbuch IX und VersMedV
    Die gesetzliche Grundlage für die Zuerkennung von Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis bildet das Sozialgesetzbuch (SGB) IX. Dort sind neben den Kriterien zur Feststellung von Behinderungen vor allem die Verfahrens- und Zuständigkeitsregelungen verankert (siehe §§ 2, 152, 229 SGB IX). Konkrete Maßstäbe für den Grad der Behinderung (GdB) und die Vergabe von Merkzeichen liefert die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) mit ihren Versorgungsmedizinischen Grundsätzen.
  2. Inhalt des Merkzeichens aG
    Das Merkzeichen aG wird schwerbehinderten Personen zuerkannt, die sich außerhalb eines Kraftfahrzeugs nur mit erheblicher Anstrengung oder fremder Hilfe fortbewegen können. Dadurch möchte der Gesetzgeber eine besondere Mobilitätshilfe bieten, indem Betroffene sogenannte Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen können.

III. ABGRENZUNG MERKZEICHEN aG vs. MERKZEICHEN G

  1. Definition des Merkzeichens G
    Anders als aG steht das Merkzeichen G für eine „erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr“. In der Praxis bedeutet dies, dass Betroffene zwar noch in der Lage sind, sich selbständig fortzubewegen, allerdings nur unter deutlich erschwerten Bedingungen.
  2. Differenzierung
    • Schwere der Einschränkung: Während beim Merkzeichen G bereits eine gravierende, aber nicht außergewöhnliche Gehbehinderung ausreicht (z. B. Gehstrecke von bis zu zwei Kilometern nur mit Schmerzen oder Pausen), verlangt aG eine weitgehende Unfähigkeit, kurze Strecken ohne erhebliche Beschwerden oder fremde Hilfe zu bewältigen.
    • Mindest-GdB: Für G wird häufig – je nach Krankheitsbild – ein mobilitätsbezogener GdB von mindestens 70 gefordert, für aG hingegen meist mindestens 80 oder höher, sofern die spezielle Gehbehinderung außerordentlich ausgeprägt ist.

IV. VORAUSSETZUNGEN FÜR DAS MERKZEICHEN AG

  1. Außergewöhnliche Gehbehinderung
    Gemäß § 229 Abs. 3 SGB IX ist das Merkzeichen aG nur in Fällen zuerkannt, in denen die Gehfähigkeit auf ein Minimum reduziert ist. Entscheidend ist nicht allein die Diagnose (z. B. Querschnittslähmung), sondern die konkrete Gehstrecke und Anstrengung. Der Grad der Behinderung (GdB) muss mobiliätsbezogen 80 betragen.
  2. Gehstrecke
    Die Gehstrecke, die für das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) maßgebend ist, wird nicht durch eine festgelegte Distanz definiert. Stattdessen ist entscheidend, ob sich die betroffene Person aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen dauerhaft nur mit großer Anstrengung oder fremder Hilfe außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen kann. Dies betrifft insbesondere Personen, die auch für sehr kurze Strecken auf einen Rollstuhl angewiesen. Siehe auch unter Punkt IX.
  3. Dauerhaftigkeit
    Die Einschränkungen müssen in absehbarer Zeit nicht besserungsfähig sein – sprich: Eine vorübergehende Verschlechterung, etwa nach einer Operation, führt nicht automatisch zum Erhalt von aG. Regel: mindestens 6 Monate
  4. Typische Krankheitsbilder
    • Querschnittslähmung (bei Rollstuhlabhängigkeit im Außenbereich)
    • Beidseitige Amputationen an Oberschenkeln oder Hüften
    • Schwere neurologische Störungen (z. B. Multiple Sklerose, Morbus Parkinson), wenn diese das Gehen massiv beeinträchtigen
    • Schwere Herz- oder Lungenerkrankungen, die sogar kurze Spazierwege unmöglich machen
  5. Einzelfallprüfung
    Viele Fälle werden von den Versorgungsämtern individuell geprüft, insbesondere wenn ein komplexes Krankheitsbild vorliegt (z. B. Kombination aus orthopädischen und internistischen Beeinträchtigungen). Im Zweifel entscheiden Sozialgerichte anhand sachverständiger Gutachten.

V. VORTEILE DES MERKZEICHENS aG

  1. Parkerleichterungen
    Der wichtigste Vorteil ist die Befugnis, einen Behindertenparkplatz zu nutzen und entsprechende Sonderrechte beim Parken oder Befahren eingeschränkter Flächen in Anspruch zu nehmen.
  2. ÖPNV-Erleichterungen
    Besitzerinnen und Besitzer des Merkzeichens aG haben oft die Möglichkeit, den öffentlichen Nahverkehr vergünstigt oder kostenlos zu nutzen, insbesondere in Verbindung mit einer Wertmarke.
  3. Kfz-Steuerbefreiung oder Ermäßigung
    Zusätzlich können sie eine teilweise oder komplette Kfz-Steuerbefreiung beanspruchen. Alternativ besteht die Option, auf den Steuerbonus zu verzichten und stattdessen eine kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zu wählen.
  4. Steuerliche Entlastungen
    Sowohl Behinderten-Pauschbeträge als auch die Geltendmachung außergewöhnlicher Belastungen können die persönliche Steuerlast mindern.

EXKURS: DER BLAUE PARKAUSWEIS – VORAUSSETZUNGEN, BEANTRAGUNG UND NUTZUNG
Der Blaue Parkausweis ist ein europaweit einheitlicher Parkausweis, der Menschen mit außergewöhnlichen Gehbehinderungen – beispielsweise mit dem Merkzeichen aG im Schwerbehindertenausweis – umfangreiche Parkerleichterungen gewährt.

• Voraussetzungen:
– Der Schwerbehindertenausweis muss das Merkzeichen aG aufweisen oder der Betroffene muss blind (Merkzeichen Bl) bzw. hilflos (Merkzeichen H) sein.
– Bestimmte Personengruppen mit vergleichbaren Mobilitätseinschränkungen können ebenfalls antragsberechtigt sein.

• Beantragung:
– Zuständig für die Ausstellung ist in Deutschland die Verkehrsbehörde vor Ort (z. B. Straßenverkehrsamt oder Ordnungsamt).
– Bei der Antragstellung sind üblicherweise eine Kopie des Schwerbehindertenausweises sowie ein Passfoto vorzulegen. Einige Kommunen fordern ergänzende Unterlagen, beispielsweise die Feststellungsbescheinigung des Versorgungsamtes.

• Nutzung:
– Der Blaue Parkausweis ist gut sichtbar hinter der Windschutzscheibe zu platzieren. Der Ausweis ist personenbezogen, nicht fahrzeugbezogen. Er kann also auch von Begleitpersonen, die Sie fahren, genutzt werden!
– Berechtigte dürfen auf speziell gekennzeichneten Behindertenparkplätzen parken, in vielen Fällen kostenlos und zeitlich unbegrenzt.
– Weitere Vorzüge sind in zahlreichen europäischen Ländern gültig, so dass Betroffene auch auf Reisen profitieren (z. B. Parkerleichterungen in anderen EU-Mitgliedstaaten).

VI. ANTRAGSSTELLUNG UND VORGEHENSWEISE

  1. Erstantrag oder Änderungsantrag für Nachteilsausgleiche
    Das Merkzeichen aG wird im Rahmen der Schwerbehindertenfeststellung beim zuständigen Versorgungsamt beantragt. Liegt bereits ein Schwerbehindertenausweis vor, kann man einen Änderungsantrag stellen, sofern sich die Beeinträchtigung verschlechtert hat und nun gegebenenfalls aG vorliegt.
  2. Medizinische Nachweise
    Zur Untermauerung des Antrags sollte man umfassende ärztliche Unterlagen, Befunde und Gutachten beifügen. Dazu zählen etwa:
    • Fachärztliche Stellungnahmen (Orthopädie, Neurologie, Kardiologie, Pneumologie)
    • Klinik- und Reha-Berichte
    • Alle Dokumente, die den Grad der Gehbehinderung belegen
  3. Funktionsbeeinträchtigungen benennen – Protokoll erstellen
    Am besten führen Sie ein Protokoll über einen Monat und schreiben alle Beeinträchtigungen auf, die sie durch die jeweiligen Erkrankungen im Alltag haben. Dieses Protokoll fügen Sie dem Antrag bei
  4. Versorgungsärztliche Begutachtung
    Das Amt übergibt die Unterlagen an den ärztlichen Dienst, der prüft, ob die in der VersMedV festgelegten Voraussetzungen für aG erfüllt sind. Dabei wird einerseits die Art der Erkrankung berücksichtigt, andererseits wie stark die Gehstrecke im Alltag tatsächlich eingeschränkt ist.
  5. Rechtsbehelfe
    Lehnt das Versorgungsamt den Antrag ab, kann der Betroffene innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen. Hilft auch das Widerspruchsverfahren nicht, steht der Klageweg zum Sozialgericht offen. Dort wird häufig ein unabhängiges medizinisches Sachverständigengutachten erstellt, das entscheidend für den Erfolg der Klage sein kann. Das Gerichtsverfahren ist kostenlos. Es empfiehlt sich, einen spezialisierten Rechtsanwalt hinzuziehen. Sie können sich gerne an mich wenden. Zu den Kosten verweise ich auf meine Ausführungen unter dem Menüpunkt Kosten

VII. WICHTIGE GERICHTSENTSCHEIDUNGEN ZUM MERKZEICHEN aG

Es gibt mehrere bekannte Rechtsfälle, die sich mit dem Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) im Schwerbehindertenrecht befassen. Hier sind einige Beispiele:


1. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az.: L 13 SB 22/14)
In diesem Fall wurde einem Kläger das Merkzeichen aG zunächst entzogen, obwohl er seit einer Hirnblutung im Kindesalter erhebliche körperliche Einschränkungen hatte. Das Gericht entschied, dass keine wesentliche Verbesserung seines Gesundheitszustands vorlag und bestätigte die Berechtigung für das Merkzeichen aG. Die Entscheidung basierte auf einer detaillierten Überprüfung seiner Gehfähigkeit und individuellen Mobilitätseinschränkungen.


2. Bundessozialgericht (Az.: B 9 SB 8/21 R)
Das Bundessozialgericht erkannte das Merkzeichen aG einem Kläger mit globaler Entwicklungsstörung zu, der nur in vertrauten Umgebungen frei gehen konnte. Das Gericht betonte, dass die Teilhabe am sozialen Leben auch bei eingeschränkter Gehfähigkeit in unbekannten Umgebungen gewährleistet werden müsse. Die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung wurde als ausreichend für das Merkzeichen bewertet.


3. GdB 80 muss mobiliätsbezogen sein Sozialgericht Osnabrück (Az.: S 30 SB 543/17)
In diesem Fall wurde einem Kläger das Merkzeichen aG verweigert, da sein mobilitätsbezogener Grad der Behinderung (GdB) nicht die erforderlichen 80 erreichte. Das Gericht stellte klar, dass die Zuerkennung des Merkzeichens nur bei erheblichen mobilitätsbezogenen Einschränkungen möglich ist.


4. Streit um das Merkzeichen aG bei Autismus-Spektrum-Störung (Sozialgericht Gießen, Az.: S 16 SB 110/17)
Das Sozialgericht Gießen entschied über einen Fall, in dem ein Kläger mit Autismus-Spektrum-Störung das Merkzeichen aG beantragte. Das Gericht lehnte den Antrag ab, da keine ausreichende mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung festgestellt wurde[3].


5. Großer Wurf des BSG, Urteil vom 09.03.2023, B 9 SB 1/22 R

Die zentralen Prüfunkte in Kurzform:

mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung – Muskelschwunderkrankung – Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug – Bodenunebenheiten – Maßgeblichkeit einer typischen Umgebung im öffentlichen Verkehrsraum – wirksame und gleichberechtigte Teilhabe – Sturzgefahr – objektives Erfordernis eines Rollstuhls – mobilitätsbezogener Mindest-GdB von 80 – Geh-GdB – Einbeziehung aller Beeinträchtigungen mit nachteiliger Auswirkung auf das Gehvermögen – Geh-GdB-Bildung nach den allgemeinen Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze – kein Abzug von nicht mobilitätsbezogenen GdB-Anteilen – abschließender Vergleich mit dem Gehvermögen von Doppeloberschenkelamputierten nicht mehr statthaft

„Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung iS des § 229 Abs 3 Satz 2 SGB IX ist anhand der beim Verlassen eines Kraftfahrzeugs typischerweise vorzufindenden Umgebungsverhältnisse zu bestimmen. Diese umfassen insbesondere den öffentlichen Verkehrsraum mit all seinen potentiell mobilitätsbeschränkenden Widrigkeiten, wie zB Bordsteinkanten, abfallenden oder ansteigenden Wegen und Bodenunebenheiten. Die Fähigkeit, ausschließlich in einer idealen Umgebung ohne Unebenheiten zu gehen, steht der Annahme einer solchen Beeinträchtigung nicht entgegen.„

„Schließlich erfordern es die Zielsetzungen des SGB IX, der mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung im öffentlichen (Verkehrs-)Raum besonderes Gewicht zuzumessen, also auch den Wegen zu Schule, Arbeitsstätte oder Arzt, zum Einkaufen und generell zum Besuch von Einrichtungen des sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Denn gerade die Möglichkeit zum selbstbestimmten Aufsuchen solcher Einrichtungen fördert eine volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft, die als Zielvorstellung dem SGB IX„

„Dieser im Hinblick insbesondere auf neurologische Erkrankungen wie Anfallsleiden entwickelte und zuletzt vom BSG im Urteil vom 16.3.2016 (B 9 SB 1/15 R – SozR 4-3250 § 69 Nr 22 RdNr 17, 21, 23) in Bezug auf Dyskinesien mit einer durchschnittlich einmal täglichen Fallneigung aufgrund einer Parkinson-Erkrankung bestätigte Maßstab ist auch auf solche Fallgestaltungen zu übertragen, bei denen die mit der Gesundheitsstörung verbundene Sturzgefahr als die Mobilität beschränkender Faktor im Vordergrund steht. Daher begründet vor dem Hintergrund der strengen Anforderungen an die Vergabe des Merkzeichens aG eine Sturzgefahr dessen Inanspruchnahme nur dann, wenn diese Gefahr wegen der Häufigkeit und/oder den drohenden Folgen der Stürze so ausgeprägt ist, dass der Betroffene aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines verständigen behinderten Menschen dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen ist„


Diese Fälle zeigen, dass die Zuerkennung des Merkzeichens aG oft von individuellen medizinischen Gutachten und einer präzisen Bewertung der Gehfähigkeit abhängt. Gerichte prüfen dabei streng, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.


VIII. EXKURS: Restwegstrecke

Das Restgehvermögen ist ein zentrales Kriterium für die Zuerkennung des Merkzeichens aG (außergewöhnliche Gehbehinderung), jedoch nicht durch eine feste Meterangabe definiert. Entscheidend ist die Qualität der Gehfähigkeit unter realen Bedingungen:

1. Keine Quantifizierung der Strecke
Die Gerichte betonen, dass weder eine bestimmte Wegstrecke (z. B. 30 Meter) noch der Energieaufwand allein ausschlaggebend sind. Selbst wenn jemand längere Distanzen zurücklegen kann, entscheidet die Art der Fortbewegung:

  • Fremdhilfe (z. B. Rollstuhl oder Unterstützung durch Dritte) oder
  • Extreme Anstrengung (z. B. Schmerzen, Luftnot, Erschöpfung, die nach kurzer Strecke zum Pausieren zwingen).

2. Praktische Einschränkungen ab den ersten Schritten
Das Bundessozialgericht (BSG) stellt klar: Bereits die ersten Schritte außerhalb des Fahrzeugs müssen nur unter den o. g. erschwerten Bedingungen möglich sein[2][4]. Ein Beispiel: Selbst wenn ein Betroffener mit Gehstützen kurze Strecken bewältigt, kann das Merkzeichen abgelehnt werden, sofern keine dauerhafte Überlastung vorliegt.

3. Medizinische Indikatoren
Relevante Faktoren für die Beurteilung sind:

  • Schmerzintensität während des Gehens,
  • Dauer der Erholungspausen (kurzes Pausieren reicht nicht aus),
  • Gesundheitliche Folgen (z. B. Kreislaufprobleme, Sturzrisiko)[4][5].

4. Rechtliche Abgrenzung
Die Sturzgefahr allein begründet keinen Anspruch auf das Merkzeichen, es sei denn, sie resultiert aus einer dauerhaft eingeschränkten Mobilität mit GdB ≥ 80. Zudem muss die Gehbehinderung überwiegend mobilitätsbezogen sein – ein allgemeiner GdB von 80 reicht nicht aus, wenn nur ein Teil der Einschränkungen die Gehfähigkeit betrifft.

Beispiel aus der Rechtsprechung: Ein Kläger mit Hirnblutungsfolgen (Lähmungen, Gesichtsfeldeinschränkungen) erhielt das Merkzeichen, da er ohne fremde Hilfe praktisch nicht gehfähig war. Dagegen wurde ein Antrag abgelehnt, weil der Betroffene mit Gehstützen noch ein Restgehvermögen hatte[1].


IX. TYPISCHE STOLPERFALLEN UND HINWEISE

  1. Unvollständige Befunde
    Häufig scheitern Anträge wegen unzureichender Nachweise über die tatsächliche Gehbehinderung. Deshalb sollten Betroffene frühzeitig umfassende Befunde sammeln, ggf. auch Physiotherapie- und Reha-Berichte.
  2. Abgrenzung zum Merkzeichen G
    Viele Personen sind zwar deutlich beeinträchtigt, erreichen aber nicht das außergewöhnliche Niveau, das für aG verlangt wird. In diesen Fällen wird oft nur das Merkzeichen G vergeben. Hier ist es sinnvoll, genau zu überprüfen, ob weitere gesundheitliche Aspekte vorliegen, die im bisherigen Verfahren übersehen wurden.
  3. Prüfen der Dauerhaftigkeit
    Das Vorliegen einer chronischen und stabilen, nicht therapierbaren Erkrankung wie einer hochgradigen Arthrose kann eher zu aG führen als ein Zustand postoperativ, der sich möglicherweise bald bessert. Anhaltspunkt ist immer: mehr als 6 Monate
  4. Widerspruchs- und Klageverfahren
    Verläuft das Widerspruchsverfahren erfolglos, schrecken viele Menschen vor einer Sozialgerichtsklage zurück. Dabei kann gerade das gerichtliche Verfahren Klarheit bringen, wenn ein neutraler Sachverständiger die Lage nochmals beurteilt. Das Gerichtsverfahren ist kostenlos. Das Gericht bestellt auch auf Staatskosten einen Gutachter. Rechtsanwaltskosten sollten kein Hindernis sein, um Nachteilsausgleiche durchzusetzen. Mehr dazu auch unter dem Menüpunkt Kosten

X. FAZIT
Das Merkzeichen aG stellt einen besonders weitreichenden Nachteilsausgleich bei Schwerbehinderung dar. Es bietet Menschen mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung spürbare Erleichterungen, sei es durch die Nutzung von Behindertenparkplätzen, Kfz-Steuerbefreiungen oder Ermäßigungen im ÖPNV. Im Antragsverfahren ist jedoch ein hohes Maß an Sorgfalt gefragt, da die Kriterien streng sind. Der Übergang vom Merkzeichen G zum Merkzeichen aG kann fließend sein und hängt sehr vom individuellen Einzelfall ab.

Wer glaubt, die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG zu erfüllen, sollte umfangreiche ärztliche Unterlagen sammeln und den Antrag möglichst genau begründen. Bei Ablehnungen ist der Widerspruch – und gegebenenfalls der Gang zum Sozialgericht – oft der Schlüssel zum Erfolg. Die Rechtsprechung zeigt, dass nicht nur klassische körperliche Einschränkungen (z. B. Amputationen, Querschnittslähmungen) relevant sind, sondern auch psychische oder neurologische Faktoren, sofern sie die Gehfähigkeit genauso stark begrenzen.

Durch die Kombination aus ärztlicher Dokumentation, fundiertem Wissen um die gesetzlichen Regelungen und ggf. anwaltlicher Unterstützung lässt sich die Chance auf eine erfolgreiche Anerkennung erheblich steigern. Wer den Blauen Parkausweis nutzen möchte, findet weitere Informationen bei der zuständigen Verkehrsbehörde – denn so macht sich der größte Vorteil des Merkzeichens aG oft erst im Alltag bemerkbar: mehr Mobilität und Teilhabe trotz schwerer Gehbehinderung.

Rechtlicher Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen ist es ratsam, fachkundige Ansprechpartner (z. B. Rechtsanwälte für Sozial- oder Behindertenrecht) hinzuzuziehen.

Merkzeichen im Schwerbehindertenrecht

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die wichtigsten Merkzeichen im deutschen Schwerbehindertenrecht, ihre Bedeutung und zugehörige Kriterien:

MerkzeichenBedeutungVoraussetzungen
GErhebliche GehbehinderungBeeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (z. B. Funktionsstörungen der Gliedmaßen, Herz-/Lungenprobleme, Sehbehinderung ab GdB 70).
aGAußergewöhnliche GehbehinderungMobilitätseinschränkung mit GdB 80, dauernde Fortbewegung nur mit fremder Hilfe oder großer Anstrengung (z. B. Rollstuhlabhängigkeit).
BBegleitung erforderlichRegelmäßige Hilfebedürftigkeit in öffentlichen Verkehrsmitteln (z. B. beim Ein-/Aussteigen oder bei Orientierungsstörungen).
BlBlindheitSehschärfe ≤ 0,02 oder schwere Gesichtsfeldeinschränkungen.
GlGehörlosigkeitTaubheit von Geburt oder späterer Hörverlust mit Sprachverständnisstörungen.
TBlTaubblindheitGdB ≥ 70 für Hörstörungen und GdB 100 für Sehstörungen.
HHilflosigkeitMind. 2 Stunden tägliche Unterstützung bei drei Alltagsverrichtungen (z. B. bei Pflegegrad 4/5).
RFBefreiung/Ermäßigung des RundfunkbeitragsBezug von Sozialleistungen (z. B. Grundsicherung) oder spezifische Behinderungen.
1.KlBerechtigung zur Nutzung der 1. Klasse in ZügenBestimmte schwere Behinderungen gemäß Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn.
VBVersorgungsberechtigtAnspruch auf Versorgung nach Bundesgesetzen (z. B. Bundesversorgungsgesetz) mit GdB ≥ 50.
EBEntschädigungsberechtigtAnspruch auf Entschädigung nach Bundesentschädigungsgesetz oder Infektionsschutzgesetz.
TSonderregelung für Berlins SonderFahrDienstSpezifische Voraussetzungen für Teilnahme am Berliner Fahrdienst.
HS(Landesspezifisch) Hilflosigkeit bei Schüler:innenBesondere Kriterien für Kinder/Jugendliche mit Hilfebedarf in der Schule.

Hinweise:

  • Das Merkzeichen aG berechtigt zum Parken auf Behindertenparkplätzen (im Gegensatz zu G).
  • H wird automatisch bei Pflegegrad 4 oder 5 zuerkannt.
  • Regionale Sondermerkzeichen (z. B. T in Berlin) gelten nur in bestimmten Bundesländern.

Rechtsgrundlagen: §§ 2, 3 SchwbAwV, Versorgungsmedizin-Verordnung.


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